Jean Amérys Debüt als Erstausgabe. Ein Glücksfund und ein radikales Stück Literatur.Ein früher Versuch des späteren, Aufsehen erregenden Essayisten, die Wundbrände des 20. Jahrhunderts zu benennen und seine Entschlossenheit, sich ihnen zu stellen.
Dies ist die Geschichte von Eugen Althager, einem Intellektuellen und Außenseiter im Wien Anfang der dreißiger Jahre. Althager ist arbeitslos, und wir erleben seinen Kampf und seinen Abstieg - zusammen mit dem Verfall der bürgerlichen Kultur in Österreich. Denn die soziale und politische Lage ist äußerst gespannt: Ein Generalstreik bricht unter den Waffen der Staatsgewalt zusammen, jüdische Mitbürger werden auf offener Straße drangsaliert.Ein äußerst farbiges, gedankenreiches und künstlerisch durchgearbeitetes Werk: voller Eindrücke aus den großen Cafehäusern Wiens, mit Großstadtszenen und einer Reihe eindrucksvoller Frauenfiguren. Althager wird durch die Zeitläufte in seine jüdische Identität förmlich hineingezwungen, und er zerbricht an diesem Prozess."Die Schiffbrüchigen"ist das spannende, weil subversive Gegenmodell zum Bildungsroman. Geschichte einer verratenen Freundschaft und Künstlerroman, enthält dieser Text schon alle gedanklichen Komplexe, die später Amerys Werk so einzigartig machten."Von einer großen Lebendigkeit, vor allem Genauigkeit und einer überraschenden politischen Hellsicht."Uwe Timm
"Ein Morgen. Eugen erwachte. Der kalte Aprilmorgen sah weiß und silbrig zitternd zum Fenster herein. Draußen flatterte auf den Teppichstangen unruhig die Wäsche. Im Fenster gegenüber sah man den Postboten mit weichen, durchgedrückten Knien die Treppe hinaufschlürfen. Neun Uhr also, dachte Eugen schläfrig. Er strich die Haare aus der Stirn. Es schien ihm völlig gleichgiltig, sein arbeitsloses Leben um neun Uhr oder später wieder aufzunehmen, jene Last und Schwere zu tragen, die in der Dunkelheit, in den Stunden des Versinkens in Körperwärme, jenes maßlosen, haarwirren Hineingewühltseins in Polster und schmutzig-warmes Bettzeug ferne war. Wie schwer war doch das tägliche Erwachen. Trümmer der Träume ragten jedesmal noch herüber in den Tag, der schon einen Boten seiner Wirklichkeit in das träge Hirn gesandt hatte. Und rascher dann, Hammerschlägen gleich hintereinander, rückten die Mächte des Tages heran und die schweren, verworrenen Dinge, deren die morgendlich zerwehte, beinahe noch keusche Seele nicht Herrin werden konnte, die wurden dann fortgeschoben, verschüttet, und an die gleichgiltigen, oft lächerlich albernen klammerte sie sich. Eugens allmorgendliches Erwachen war ein Kampf. Es galt, die Gewalten des Schlafes, der Wärme, der hemmungslosen räkelnden Bewegungen zu überwinden. Der tierisch-dunkelrote Schleier der späten Träume mußte zerrissen werden. Der Lust an der Wärme der eigenen Glieder mußte man sich entziehen. Die wundervolle, große Gleichgiltigkeit des Einschlafens war es, die er bekämpfte. Die Boten der Tageswirklichkeit galt es zu stützen gegendie Mächte des Hinunterwollens. Als sei gar keine Zeit mehr zu verlieren, als müsse er in irgendeine Ordnung des Tages sich einreihen, sprang Eugen jeden Morgen um neun aus seinem Bett. Und vor ihm lag doch nur das öde, tötende Nichts seines Tages, das zu füllen er mit der Seele letzter Kraft sich täglich mühte. Trübblasses Nichts aus Hunger und Einsamkeit, das ihn umbrauste; Stunden der kalten Glieder und trockenen Lippen, leise wimmernde Leere des Herzens. Mattklang der Stimme. -Das Nachthemd warf er ab und stand nun nackt im ebenerdigen Zimmer. Im Hof vor seinem Fenster sang mühselig und heiser ein Bettler. Den kalten Strahl des klaren Wassers goß Eugen über seinen Körper und mit den letzten Spuren des nächtlichen Schweißes, die die gläserne Klarheit des Wassers aus Achselhöhlen und Kniekehlen riß, versickerten die dunkel-feuchten Gewässer der nächtlichen Träume in seiner Seele. Die verstreuten Kleider sammelte er und zog sie an. Die tägliche Sorge: wie lange hält mein Anzug noch? düsterte in ihm auf. Hauchzarte Fäden hingen vom Kragen seines Hemdes und den Manchetten. Um wieviel einfacher wäre es doch gewesen, den Kragen daheim liegen zu lassen. Den Kragen - Sinnbild für Eugens bürgerliche Verkleidung. Den Schritt erschlaffen zu lassen wäre besser gewesen, die Haare nicht mehr aus der Stirn zu streichen, wohlig das Grau des Schmutzes seine Kleider eindunkeln zu lassen und bis zum Morgen in den Schenken zu hocken."